AFF/Solo-Fallschirmsprung, Level 1 - das klingt kompliziert, ist es aber nicht. AFF steht für "Accelerated Free Fall" und bezeichnet eine in den USA entwickelte moderne Lehrmethode für das Fallschirmspringen. Früher begann die Ausbildung mit zahlreichen Automatiksprüngen, Sprüngen also, bei denen eine mit dem Flugzeug verankerte Leine den Hauptschirm aus dem Gurtzeug gezogen hat - und zwar unmittelbar nach dem Absprung. Nach etlichen so durchgeführten "Automatik-Exits" trainierte man dann manuelle Öffnungen mit sehr kurzen Freifallphasen von 10 oder 15 Sekunden. Es war ein langer, mühsamer Weg bis zum ersten echten langen Freifall - und potentiell sogar gefährlicher als der AFF, denn du warst immer auf dich alleine gestellt.
AFF/Level 1 bedeutet, dass du in ca. 4.000 m Höhe alleine, also nicht verbunden mit einem Tandem-Master, dafür aber in Begleitung von zwei Sprunglehrern, aus dem Flugzeug springst. Du fällst sofort frei und zwar beim ersten Sprung bereits für 45 Sekunden! Das ist für einen ersten Sprung eine Ewigkeit! Die beiden AFF-Lehrer halten sich unmittelbar in deiner Nähe auf, einer der beiden liegt quasi vor deiner Nase, der andere in einem 90 Grad Winkel zu dir, eventuell mit leichtem Handkontakt zu deinem Körper rechts neben dir. Du hast eine umfangreiche Einweisung und Schulung erhalten und dafür einen ganzen Tag investiert. Du kennst die Regeln, du hast gelernt, wie du dich im Freifall zu verhalten hast, wie man einen Schirm öffnet, im Falle einer Fehlöffnung den Hauptschirm abtrennt und die Reserve zieht und bist sehr gut vorbereitet. Die beiden AFF-Lehrer bewachen dich hauteng wie zwei Bodyguards und wachen mit Argusaugen über dich. Du hast direkten Blickkontakt in die Augen deines Lehrers, der weniger als 1,5 m mit seinem Gesicht von ihrem entfernt ist. Er liest in deinen Augen ob du wach und reaktionsfähig bist und beobachtet sehr genau deine "Practice Ripcord Pulls" (Du simulierst den Öffnungs-Griff). Du beobachtest deinen Höhenmesser, während du mit 50 m pro Sekunde der Erde entgegenfällst. Auf einer Höhe von 1.500 m über Grund öffnest du selbst deinen Hauptschirm. Unter dem geöffneten Schirm kehrt urplötzlich Stille ein, denn du gleitest nun unter deinem Schirm selbständig Richtung Ziel und erhältst nur hin und wieder über Funk die Landeeinweisung deines Lehrers am Boden. Du machst einfach nur das, was dir über Funk mitgeteilt wird und landest deine Hauptkappe sicher am Boden.
Wenn du alles richtig gemacht hast, du also Level 1 bestanden hast, dann kannst du mit der Ausbildung fortfahren: Level 2-7 bei separater Buchung direkt bei der Sprungschule. Wenn du jetzt noch sechs Mal alles richtig machst, dann ist dein achter Sprung ein Free-Solo, der erste Sprung, den du ganz alleine und ohne Begleitung und ohne Landeeinweisung absolvierst. Noch 25 weitere Solosprünge im Laufe der nächsten Zeit und du hältst deine Sprunglizenz in den Händen.
Es kann aber auch passieren, dass du Level 1 "versiebst". Das muss nicht unbedingt heißen, dass du gefährdet bist, aber du machst möglicherweise einen Fehler. Falls du beispielsweise nicht aus eigener Kraft in eine stabile Freifallposition gelangst und durch deinen Master aktiv stabilisiert werden musst, wäre das so ein Fall. Oder du verpasst den Moment, an dem du deine Hauptkappe ziehen musst. Das tut dann der rechts neben dir fallende Master und du schuldest ihm ein Bier. Oder du wirst bei der Ausübung der Practice Ripcord Puls, also der testweisen Öffnungsübung, instabil. Wenn das der Fall ist, dann ist es gut, dass deine Master dies schon sehr früh wissen, also lange bevor es Zeit ist, den Hauptschirm zu öffnen. Dann werden die beiden dich in eine sichere Position bringen und an deiner Stelle die Hauptkappe öffnen, was wiederum ein Bier kostet.
Die Wahrscheinlichkeit einer Fehlfunktion der Hauptkappe ist äußerst gering, aber auch hier gibt es entsprechenden Handlungsspielraum, den du erlernen wirst.
Fazit: Ein interessantes, großes Abenteuer, bei dem man wirklich am Ball bleiben muss. Sehr empfehlenswert.
Jochen Schweizer